Die Out-of-the-box Lüge in PLM-Systemauswahlen

Nach zwei wirklich aufschlussreichen Artikeln des Gastautors Markus Ripping bin ich jetzt mal wieder dran mit einem Blogpost. Und der provokant gewählte Titel deutet auch schon die Richtung an. Es wird wieder etwas praktischer und geht und die Auswahl des richtigen PLM-Systems – wenn es das eine “richtige” überhaupt gibt.

PLM Änderungen sind notwendig

In den letzten 20 Jahren konnte ich an vielen Projekten mitarbeiten, die sich mit der Auswahl eines geeigneten PLM-Systems beschäftigt haben. Dabei habe ich beide Seiten kennengelernt, sowohl die des Kunden als auch die des potenziellen Software-Lieferanten. In den allermeisten Fällen wird im Rahmen einer mehr oder minder ausführlichen Analysephase ein Kriterienkatalog erarbeitet, in dem basierend auf den aktuellen Geschäftsprozessen Anforderungen an das zukünftige Wunschsystem zusammengefasst werden.

Dieser Fragebogen kann auch gerne mal eine mehrere Quadratmeter große Exceltabelle sein mit den Antwortmöglichkeiten “Out-of-the-box”, “Anpassung mit geringem Aufwand”, “Anpassung mit höherem Aufwand” und “Individuelle Entwicklung”.

In einigen, wenigen Fällen wird auch nach nicht funktionalen Anforderungen (z.B. notwendige Infrastruktur, Integrationsfähigkeiten, Anbindung verteilter Standorte, …) gefragt, um diese ebenfalls zu bewerten. Das passiert aber eher seltener, meistens bleibt es beim Abfragen Funktionen und Features.

Die nach besten Wissen und Gewissen von den potenziellen Softwarelieferanten gelieferten Antworten werden dann verglichen und gewichtet und übrig bleiben dann die Systeme, die in die engere Auswahl kommen. An dieser Stelle möchte ich dem geneigten Leser, der sich hier wiedererkennt, zwei Fragen stellen:

Denken sie bitte 3-5 Jahre zurück. Wie hätte dort ihr Fragenkatalog ausgesehen? Ist er komplett identisch mit dem, den sie heute entwickelt haben und Ihre Geschäftsprozesse und Daten haben sich in den letzten 3-5 Jahre nicht weiterentwickelt?

Denken Sie einmal 3-5 Jahre voraus. Wird der Kriterienkatalog in der Zukunft komplett identisch sein mit dem, den sie heute haben? Lesen Sie dazu auch den Artikel von Markus zum Thema Dynaxity.

Wenn sie in beiden Fällen absolut sicher sind, das sich Ihre Anforderungen an ihr PLM-System über 6-10 Jahre nicht ändern werden, dann bringt dieser Artikel ihnen keinen Erkenntnisgewinn. Dann werden Sie mit der oben geschilderten Auswahl das perfekte System für sie finden.

Es ist natürlich überhaupt nichts falsch daran, nach einer möglichst großen Schnittmenge zwischen eigenen Anforderungen und Out-of-the-box-Features zu suchen, ganz im Gegenteil. Natürlich gibt es eine ganze Reihe Anwendungsfälle, die eher stabil sind und bleiben und die wollen Sie natürlich möglichst “ready for use” vorfinden.

Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden sich die Anforderungen an Ihr PLM-System ändern, einige werden hinzukommen, andere werden gar nicht mehr so wichtig sein und vielleicht ganz wegfallen. Daran besteht kein Zweifel. Und genau dieses immens wichtige Kriterium spielt in fast allen PLM-System Benchmarks überhaupt keine Rolle und wird immer “vergessen”: Wie gut, wie einfach, wie schnell und mit welchen Wissen kann ich mein System an zukünftige Anforderungen anpassen? Es ist schließlich ihr PLM-System und nicht das PLM-System, das ein PLM-Systemhersteller für geeignet für sie hält. Und im Gegensatz zu anderer Unternehmensoftware reden wir hier von Daten und Prozessen rund um ihr Produkt. Exakt dem “Ding”, mit dem sie ihr Geld verdienen, das etwas einzigartiges beinhaltet, dass sie von Ihrem Wettbewerb unterscheidet. Und wir sprechen über Daten und Prozesse, die das Herz, Wirbelsäule und Nervenbahnen Ihres Unternehmens bedeuten und diese gehorchen eher nicht vordefinierten Features, die auch Ihre Marktbegleiter einsetzen.

PLM Systemvergleiche vollständig durchführenDas sie ihr PLM-System an Ihre individuellen Bedürfnisse anpassen werden, ist unausweichlich. Und genau für diese Fall schauen sie genau hin, was ihre potenziellen Anbieter können. Vertrauen sie nicht auf schicke Powerpoints oder vorgefertigte Presales-Szenarien. Probieren Sie es aus, wie es sich anfühlt, das PLM-System zu verändern, anzupassen, neue Anforderungen an Daten und Prozesse abzubilden. Was müssen Sie dafür in Ausbildung investieren? Werden spezielle Entwicklungsumgebungen und besondere Kenntnisse dafür benötigt? Kann ich Anpassungen überhaupt selbst vornehmen oder muss ich immer einen Spezialisten dafür beauftragen? All diese Fragen werden sehr schnell sehr wichtig für einen PLM-Systemanwender und müssen daher in meinem Benchmark eine signifikante, wenn nicht sogar die signifikanteste Rolle spielen.