Mein heutiger Blogartikel ist eine Premiere. In meinem Beitrag PLM & CMII habe ich bereits aus meiner Sicht den Zusammenhang zwischen beiden Management-Disziplinen erläutert. Umso mehr freue ich mich, heute einen Interviewgast auf meiner virtuellen Blog-Couch begrüßen zu dürfen. Platz genommen hat Guido Weischedel, Geschäftsführer der GfKM – CMII Europe. Wie Herr Weischedel zu PLM im Allgemeinen und zu CMII im besonderen steht, das beantwortet er am besten selbst.
Herr Weischedel, einige Leser werden Sie vielleicht persönlich aus Ihren Trainings oder von den jährlichen CMII-Kongressen kennen. Könnten Sie sich trotzdem kurz vorstellen und ein paar Worte zu Ihrem beruflichen Werdegang verlieren?
Guido Weischedel
Gerne – nach dem Informatikstudium an der Fachhochschule Esslingen war ich für ein paar Jahre in der Industrie im Automobilbereich beschäftigt. 1985 habe ich mich dann selbständig gemacht, zunächst als Ingenieurbüro und später zusammen mit meinem Geschäftspartner Thomas Schwartz als ESM Software GmbH. Die ESM Software hatte sich ab 1987 auf den Vertrieb von Tools für Softwareentwickler spezialisiert. Durch den deutschlandweiten Vertrieb von PVCS kamen wir zum Thema Konfigurationsmanagement und so später zu CMII. Im Jahr 1997 wurde dann die ESM Software durch die GfKM ersetzt. Als Geschäftsführer der GfKM führe ich seit 1997 CMII-Trainings innerhalb von Europa durch – war aber auch schon diverse Male im Ausland, z.B. Thailand oder Südkorea als CMII-Trainer unterwegs.
Nicht jeder kennt sofort den Begriff “Konfigurationsmanagement CMII” und kann sich etwas darunter vorstellen. Was versteckt sich hinter dieser Abkürzung? Welcher Zweck wird durch CMII verfolgt?
CMII steht für “Configuration Management II” ist aber eigentlich nur ein Name – CMII könnte genauso gut CM++ oder CMxx heißen. Die römische 2 steht ursprünglich für “weiterentwickeltes Configuration Management” oder auch “Konfigurationsmanagement der 2.Generation”. CMII geht über die Belange von traditionellem CM (manche nennen dies auch CM der 1.Generation) hinaus, indem nicht nur die Entwicklungsergebnisse gesichert und dokumentiert werden. Bei CMII liegt der Schwerpunkt auf der Vermeidung von Korrekturmaßnahmen und einem sehr effizienten Änderungsprozess – diesen kann man quasi “out-of-the box” in jedem Unternehmen einführen.
CMII hat sich de facto zu einem Standard in der Industrie entwickelt. Wie lange gibt es diesen Standard bereits? Können Sie uns ein wenig die Historie und Entwicklung in den letzten Jahrzehnten schildern und in welchen Branchen und Märkten dieser Standard seinen Schwerpunkt hat?
Ursprünglich wurde CMII in den frühen 80er Jahren vom CMII Research Institute mit Vince Guess als fachlichem Leiter entwickelt. Traditionell ist die Vergangenheit daher die Luftfahrtindustrie, da dort der größte Bedarf war. In der Zwischenzeit gibt es keinen Industriezweig, in dem CMII nicht bereits als Standard verwendet wird oder werden kann. In den letzten Jahren merken wir in den USA und neuerdings auch in Europa einen Zuwachs in der Medizintechnik – vermutlich weil auch dort die Anforderungen an Prozesse und Zulassungen stark zugenommen haben.
Auf den ersten Blick scheinen sich PLM und CMII gut zu ergänzen bzw. adressieren ähnliche Themen. Wo sehen sie Gemeinsamkeiten und Synergien? Ist ein CMII-Implementierungsprojekt auch immer ein PLM-Projekt oder gibt es auch Unterschiede bzw. Abgrenzungen?
PLM und CMII gehören in der Tat zusammen, unter anderem deshalb, weil sowohl PLM als auch CMII einen unternehmensweiten Einsatz verfolgen und es um alle Lifecyclephasen und nicht nur die Entwicklung geht. CMII kann perfekt als Prozessplattform verwendet werden (wir bezeichnen diese als Geschäftsprozessinfrastruktur), die mittels PLM-Tool automatisiert werden kann. Mit CMII erhält man effiziente und harmonisierte Prozesse, mit denen Nacharbeiten minimiert werden und die Einarbeitung von Änderungen effizient erfolgen kann – wir nennen dies den “Weg zur Integrated Process Excellence”. Wenn diese Prozesse dann durch ein geeignetes PLM-Tool automatisiert werden, steht der Profitsteigerung des Unternehmens nichts mehr im Weg: Bessere Geschäftsergebnisse durch Vermeidung von Kosten für Korrekturmaßnahmen.
CMII ist nicht der einzige Industriestandard für das Konfigurationsmanagment. Wo sehen Sie die Vorteile von CMII gegenüber dem klassischen Konfigurationsmanagement oder anderen Standards und Verfahren?
Alleinstellungsmerkmal von CMII gegenüber traditionellem CM ist, dass es nicht nur definiert WAS zu tun ist, sondern auch vorschlägt WIE man CM so optimal und effizient wie nur möglich tun sollte. Einer unsere Kursteilnehmer hat es treffend formuliert: “CMII ist die gemeinsame Sprache des CM”. Unternehmen, die z.B. wie Delphi Automotive firmenweit CMII einsetzen, sprechen dieselbe Sprache, d.h. die Prozesse sind dieselben. CM ist nicht gleich CM – jeder kann CM anders machen – effizienter oder weniger effizient – CMII ist immer gleich und immer effizient.
Sie engagieren sich seit vielen Jahren und gelten als ausgewiesener Experte für das Konfigurationsmanagement. Auf welche Probleme stoßen Sie am häufigsten, wenn Sie bei Ihren Kunden über diese Thema sprechen? Und welche Hindernisse tun sich auf, wenn CMII dann eingeführt werden soll?
Eigentlich alle Interessenten verstehen, dass CM auch für ihre Organisation ein wichtiges Thema ist – trotzdem ist leider der Leidensdruck nicht überall gleich groß. Daher haben CMII-Projekte nicht immer die höchste Priorität – es funktioniert ja alles irgendwie – Produkte verlassen die Hallen – Kunden sind irgendwie zufrieden. In schlechten Zeiten ist oft kein Budget für Trainings und Prozessverbesserungsprojekte vorhanden – in guten Zeiten keine Zeit. Bei der Einführung von CMII muss man behutsam vorgehen und in den jeweiligen Bereichen Bewusstsein schaffen und den zu erwartenden Nutzen vermitteln. Eine Einführung mit der Brechstange funktioniert nicht – die Prozesse werden dann auch nicht gelebt, sondern blockiert.
Die GfKM – CMII Europe ist der europäische “Hüter” des CMII-Standards. Welche Aufgaben hat die GfKM und worauf fokussieren sie sich in ihrer Arbeit?
Die GfKM führt seit 1995 CMII Trainings in Deutschland durch mit zunehmendem Erfolg. Waren es in den ersten Jahren gerade mal ein paar Teilnehmer pro Kurs so sind es heute zwischen 10 und 16 Teilnehmer (wir limitieren die Teilnehmerzahl pro Kurs auf 16). Seit einigen Jahren führen wir auch CMII Trainings in anderen europäischen Ländern in den jeweiligen Landessprachen durch – entweder selbst oder mit unseren Partnern. Das Einzigartige ist: egal wo auf der Welt man CMII Trainings besucht und unabhängig von der Sprache – die Inhalte sind identisch. Dies ist gerade bei multinationalen Konzernen ein unschätzbarer Vorteil, so dass alle CMII-Zertifizierten weltweit dieselbe CMII-Sprache sprechen – egal wo und wann sie die Trainings gemacht haben und zertifiziert wurden.
Blicken wir ein wenig in die Zukunft. Welche Entwicklungen erwarten sie im Bereich des Konfigurations- und Product Lifecycle Managements? Wird es einmal eine Konfigurationsmanagement Level 3, also CMIII geben? Gibt es Branchen und Märkte, die sie in naher Zukunft stärker adressieren wollen?
Die CMII Trainings werden fortlaufend weiter entwickelt. Die Grundprinzipien, dass z.B. Dokumente führen und Produkte folgen bleiben selbstverständlich immer erhalten. Es gibt keinen Grund und auch kein Bestreben für ein CMIII, da wie schon erwähnt “CMII” nur ein Name ist. Weiterentwickeln tun wir unser Produkt “CMII Trainings” ständig, sowohl in den USA als auch in Europa. Seit 2 Jahren gibt es z. B. auch einen speziellen CMII Kurs 13 für die Softwareentwicklung. Daher erwarten wir mehr Teilnehmer aus Softwareunternehmen in den kommenden Jahren.
Herr Weischedel, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch und wünsche Ihnen noch viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Gerne – vielen Dank und viel Erfolg und interessante Themen mit dem PLM-Blog.