PLM & ITIL® passen nicht zusammen … oder doch?

Nach meinem ersten Interview mit Guido Weischedel zum Thema Konfigurationsmanagement hat heute ein neuer Gast auf meiner virtuellen Couch Platz genommen. Wir wollen heute einmal einen Blick über den Tellerrand wagen und uns mit dem Thema ITIL® ein wenig näher beschäftigen. Bernd Ebert, freiberuflicher Berater und Trainer für die Prozess- und IT-Servicemanagement, hat sich bereit erklärt, mir Fragen dazu beantworten und vielleicht finden wir doch mehr Gemeinsamkeiten zwischen ITIL® und PLM, als man gemeinhin so denkt.

Herzlich willkommen Herr Ebert. Einige Leser werden Sie aus Ihren Projekten bereits kennen, aber können Sie sich für die anderen ein wenig vorstellen und ein paar Worte zu Ihrem Hintergrund verlieren?

Bernd EbertNach meinem Studium habe ich im Beratungsfeld “Digitale Prototypen” (DMU) gearbeitet und anschließend in der Industrie als Experte für Produktdatenmanagement. Dabei ging es zum Beispiel  um die Konfiguration von CAD Software und die Bereitstellung von Visualisierungsdaten. Im Zuge dessen kam ich in Kontakt mit ITIL® (IT Infrastructure Library) – über Fragen, wie wir mit Störungen umgehen, wie wir Änderungen an der Software ordentlich steuern und wie wir Projektprodukte in den Betrieb überführen. Das Thema gefiel mir gut; so habe ich es ausgebaut und mich 2008 selbständig gemacht. Seitdem berate ich Unternehmen bei der Einführung und Anpassung von Prozessen für einen optimalen IT Betrieb. Seit 2011 trainiere ich darüber hinaus ITIL® bis zum Expert und Projektmanagement nach PRINCE2®.

Welche Bedeutung steht hinter dem Begriff ITIL®?

ITIL steht für „IT Infrastructure Library“ und stellt eine Bibliothek von Best Practices dar. Es beschreibt verschiedene Prozesse und Aspekte eines IT Betriebs, die sich als wichtig und nützlich herausgestellt haben. ITIL umfasst derzeit fünf Kernbücher, die sich mit den Lebenszyklen eines IT Services auseinandersetzen. Diese umfassen die Strategie, das Design, die Transition, den Betrieb und die kontinuierliche Verbesserung von IT Services aus prozessualer Sicht, dem IT Service Management. Erinnert irgendwie an Produktlebenszyklen, oder?

Es sieht so aus. Aber PLM und ITIL® sind nicht zweimal das gleiche, nur anders beschrieben, oder?

Das sind sie nicht. Natürlich gibt es viele Parallelen: Beide haben das gleiche Ziel. Beide sind kein Selbstzweck. Sie unterstützen die Lieferung eines exzellenten Produktes. Und es gibt natürlich Ähnlichkeiten in den Inhalten, z. B. Konfigurationen steuern, Änderungen steuern und Produkte freigeben. Die Produkte selbst unterscheiden sich, und damit auch die Art der Unterstützung. PLM steuert häufig physikalische Produkte, die hergestellt und später verkauft werden und begleitet deren Entwicklung und Änderung. Dann gehen die Produkte außerhalb des PLM nutzenden Unternehmens in den Betrieb. Beim IT Service Management geht es um die Steuerung eines vitalen IT Services innerhalb des Lifecycle Management Betriebes oder IT Dienstleisters.

Dann gibt es also sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Aber was haben sie nun miteinander zu tun?

Sehr viel. PLM nutzt  Methoden und Systeme, um den Lebenszyklus von Produkten zu steuern. Dabei stützt sich PLM neben der Methodik wesentlich auf Infrastruktur, Software und intelligente IT Services. IT Service Management unterstützt wiederum diese PLM Systeme, indem es dafür sorgt, dass diese Umgebung zuverlässig funktioniert. Die Qualitätsansprüche, die an das Produkt gestellt werden, erfordern sorgfältiges Management. Das bedeutet, dass die genutzten Werkzeuge ebenso zuverlässig funktionieren und sorgfältig gepflegt werden müssen.

Können Sie dafür konkrete Beispiele dafür nennen?

Nehmen wir das PLM-System: Der Hersteller bringt in regelmäßigen Abständen Aktualisierungen heraus, der Kunde nimmt immer wieder mal kleinere oder größerer Anpassungen vor, Schnittstellen zu Datenbanken müssen angepasst werden etc. Jede dieser Änderungen birgt das Risiko der Fehlfunktionen, Ausfällen oder Aufwänden ohne sichtbaren Nutzen. Diese Risiken lassen sich nur durch ein gutes Zusammenspiel ordentlicher Prozesse und kompetenter Mitarbeiter reduzieren. Hier sind insbesondere das Konfigurationsmanagement (der IT), das Change Management und das Release- und Deployment gefragt. Evaluierung und Test gehört natürlich ebenso dazu.

Wie funktionieren diese Prozesse zusammen? Noch klingt das nicht ganz greifbar…

Das Basis stellt das Konfigurationsmanagement dar. Es bildet die aktuelle Version des freigegebenen, sich im Betrieb PLM ITILbefindlichen PLM Services ab, einschließlich Software, Hardware, Prozesse, Wartungsverträge etc. Wenn ich nun Änderungen, wie z. B. den Update des Systems anstoße, steuere ich das über das Änderungsverfahren an. Hier werden alle Änderungen aufgenommen und analysiert: Abhängigkeiten, Auswirkungen etc. Sobald ein Change autorisiert wurde, bündle ich die Changes in einem Release. Das Release beschreibt das Delta zwischen dem aktuellen und dem zukünftigen PLM Service. Das Release und Deployment macht sich nun Gedanken, wie etwas freigegeben wird, wie etwas ausgerollt wird, wann welche Trainings für wen durchgeführt werden und welche Downtimes benötigt werden. Das Ziel ist letztlich immer das gleiche: Innerhalb kürzester Zeit maximalen Nutzen bei geringstmöglichen negativen Nebeneffekten zu erzielen. Ohne eine saubere Steuerung über Releases und Konfigurationen, weiß das Change Management nicht, worauf es sich einlässt. Es ist dann eine zeitaufwändige Fahrt durch den Nebel, bei der der Passagier im Grunde nicht weiß, wo er ankommt. Wenn es sich um ein zentrales System handelt, was ein PLM System bei produzierenden Unternehmen immer ist, erzeuge ich ohne die Prozesse und Technologien ein erhebliches Risiko.

Müssen noch weitere ITIL® Prozesse eingeführt werden, um das PLM System zu betreiben?

Das kommt darauf an. ITIL® stellt erstmal nur die möglichen Best Practices vor. Ich führe also kein ITIL® ein – schon gar nicht um seiner selbst willen. Die erste Frage ist, wo Probleme gelöst werden sollen oder wo Verbesserungen notwendig sind. Dazu werden die Ursachen analysiert. Dann kann ich überprüfen, ob ITIL® eine geeignete und bewährte Prozess-Referenz liefert, an der ich mich orientieren kann, um die Lage zu verbessern. Und nur diese greife ich mir aus der Bibliothek heraus und passe sie für das Unternehmen an. Schließlich ist es selten so, das gar nichts vorhanden ist.

Haben Sie zum Schluss noch 3 Tipps, wie ich als Betreiber eines PLM Systems beginnen sollte, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Prozesse funktionieren nur so gut, wie die Menschen sie akzeptieren, die damit arbeiten. Also beginne bei gewünschten Veränderungen damit, die Prozessbeteiligten an einen Tisch zu holen.

Außerdem hilft es, Dinge auszuprobieren, um den Mehrwert erfahrbar zu machen. Schrittweise erfolgreiche Veränderungen umzusetzen ist darum oft besser, als alles auf einmal.

ITIL® Grundlagen zu kennen, hilft manchmal neue Ideen zu entwickeln und eigene Prozesse zu überdenken. Und mit dem innewohnenden Vokabular eine gemeinsame Sprache zu finden.

Herr Ebert, vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch und noch viel Erfolg bei ihren Projekten.

 

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