PLM und demographische Diversität – wie passt das zusammen?

 

Vor einigen Tagen wurde mir eine Veröffentlichung in meine Linkedin-Timeline gespült, dessen Titel meine Aufmerksamkeit erregte: “Organizational Demographic Faultlines: Their Impact on Collective Organizational Identification, Firm Performance, and Firm Innovation“. Ulrich Leicht-Deobald (Universität St. Gallen), Hendrik Huettermann (Bundeswehruniversität München), Heike Bruch (Universität St. Gallen) und Barbara S. Lawrence (University of California, Los Angeles) veröffentlichten dieses Paper im “Journal of Management Studies” im Dezember 2021.

Burosituation mit diversen Menschen

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In dieser Studie wurde der Zusammenhang zwischen Gräben innerhalb von Unternehmensorganisationen und der Innovations- und Leistungsfähigkeit untersucht. Ok, der Abbau von Datensilos ist die Basis des Business Cases fast aller PLM Projekte und somit keine wirkliche Sensation.

Neu in dieser Studie war aber der Blickwinkel, unter dem das betrachtet wurde. Die Protagonistinnen und Protagonisten schauen gezielt auf die demographischen Ursachen der Ausbildung solcher Trenngräben. Menschen mit ähnlichen Merkmalen (Geschlecht, Alter, soziale und/oder regionale Herkunft, …) bilden keine Netzwerke über die gesamte Organisation, sondern arbeiten so mehr oder minder unter sich zusammen.

Die Studie führte zu einem klaren Ergebnis: Diese demographischen Silos wirken sich klar und nachweisbar negativ auf die Innovations- und Leistungsfähigkeit von Unternehmen aus.

Somit schlägt das Beharren auf überholten konservativen und althergebrachten Denkmustern die Hüter des “Früher war alles besser” mit den eigenen Waffen. Innovationen und die Performance von Organisationen werden vermindert und gebremst, wenn sich keine demographisch-diversen Netzwerke in Unternehmensorganisationen ausbilden können.

Das wo ist hier die Verbindung zum PLM? Datensilos wollte PLM schon abbauen, als es noch CIM hieß. Über gemeinsame Datenmodelle, Product Data Backbones und Systemintegration wird in jedem Projekt ausgiebig diskutiert.

Und auch zum organisatorischen und arbeitskulturellen Wandel, der mit PLM einhergeht, wurde schon sehr viel geschrieben. Der geneigten Leserin und dem geneigten Leser möchte ich dazu den Blogartikel “Es wird menschlich – die Organisation rund um ihr PLM System” und das Interview mit Bernd Ebert an das Herz legen.

Wandel

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Ebenso ist die Umsetzung und Begleitung dieses ein fester Bestandteil ein jeder PLM Initiative. Das reicht von der intensiven Projektkommunikation über die Einbindung von Key Usern und Stakeholdern bis hin zu vielfältigen Trainingsmaßnahmen.

Martin Eigner bringt es auf den Punkt: “Jeder PLM Anwendungsfall verlangt nach einer individuellen Lösung. Technik, Organisation und Menschen müssen gleichwertig eingebunden werden“. Ich nicke zustimmend und möchte das “Organisation” und “Menschen” betonen.

Mit der Lektüre dieser Studie hat sich mein Mindset definitv erweitert. Diversität wirkt in Unternehmensorganisationen als erfolgsverstärkender Faktor und das hat definitiv einen Einfluss auf erfolgreiche PLM Projekte.

Es gibt Beispiele dafür, die in diesen Aspekt auf der Agenda haben, Initiativen starten und handeln. Stellvertretend sei auf das LEAD Network verweisen, auf das ich durch meinen Fellow Mick Broekhof aufmerksam wurde.

Diesen spannenden Gedankenanstoss möchte ich mit der Community teilen. Und er hat mich zum Nachdenken gebracht. Man soll ja immer zuerst vor der eigenen Tür kehren. Wenn wir uns in der PLM Branche umschauen, wie divers sind wir eigentlich?

Es wird menschlich – die Organisation rund um ihr PLM System

Der geneigte Leser mag sich noch an meinen Artikel über die infrastrukturellen Voraussetzungen eines erfolgreichen PLM-Projekts erinnern. Aber leider ist es mit der reinen IT Infrastruktur nicht getan und deshalb wende ich mich heute dem Aspekt der Organisation zu. Konkret geht es mir genau um den Übergang von der Implementierungsphase in den produktiven Betrieb des PLM-Systems und das weniger aus technischer Sicht, sondern aus dem Blickwinkel der Unternehmensorganisation und den damit zusammenhängenden menschlichen Faktoren. Wie bekommen Sie als Eltern des PLM-Systems diesen gerade der Pubertät entwachsenen Sprössling gut und sicher in den Ernst des Lebens, nämlich in den produktiven Betrieb? 

Als Erstes möchte ich mit einem noch oft gehörtem Trugschluss einer PLM-Einführung ausräumen. Vergessen Sie den Gedanken, dass so ein PLM-System jemals “fertig” ist. Ihre Produkte müssen sich ständig neuen Markterfordernissen anpassen oder sie setzen neue Trends und Innovationen auf Ihrem Markt.

PLM Innovation

Des Weiteren ziehen gerade in der Produktentwicklung immer mehr agile Methoden ein. Dieses Internet, von dem man in den letzten Monaten so viel hört, bringt vollkommen neue Geschäftskonzepte hervor und lässt komplette traditionelle Produkte verschwinden.Das zwingt jeden Marktteilnehmer zur Anpassung.

Vor diesem Hintergrund kann und darf ein PLM-System nicht statisch sein. Die Anpassung dieses System zur Unterstützung Ihrer Produktinnovation ist nicht die Ausnahme, es ist der Regelfall. Daher muss sich auch jeder PLM-Systemlieferant daran messen lassen, wie einfach und durchgängig Änderungen an seinem System vorgenommen werden können. Für mich als Verantwortlicher eines PLM-Systembenchmarks wäre diese Adaptionsfähigkeit das allerwichtigste Kriterium. Den Gedanken an ausreichende oder sogar vollständige Out-of-the-box Funktionalität legen sie besser beiseite. Wenn alles OOTB funktionieren soll, was was unterscheidet sie dann von Ihrer Konkurrenz? Des Weiteren kann in ein paar Jahren die OOTB Funktion von heute vom Stand der Technik überholt worden sein. Oder wer benutzt heute noch ein Nokia 3210 oder bringt noch analoge Filme zu entwickeln? Und wer weiß, was diese Digitalisierung in den nächsten Jahren noch an neuen Konzepten und Innovationen hervorbringt, die mit Sicherheit Einfluss auf ihr PLM-System haben werden. 

Was heißt das jetzt aber für Ihre Unternehmensorganisation? Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Sie benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit dieser Herausforderung der ständigen Änderung umgehen können. Und sie müssen sich natürlich Gedanken über Prozesse und Methoden machen, die dies unterstützen.

Das ist einfacher gesagt als getan. Im Implementierungsprojekt hat ihr PLM Systemhaus diese Aufgaben übernommen. Er hat Ihre Anforderungen aufgenommen, das PLM-System ihrer Wahl dahingehend angepasst, die Ergebnisse in regelmäßigen Sprints vorgestellt, Feedback eingesammelt und so das erste produktive Release des PLM-System erstellt. Für diese Implementierungspartner ist das tägliches Brot, sie haben entsprechende Prozesse und Infrastruktur am Start und deren Mitarbeiter sind darauf geschult und trainiert. Genau aus diesem Grund haben Sie ja auch diese externe Unterstützung eingekauft. 

Basierend auf Ihren guten oder nicht so guten Erfahrungen während der Implementierungsphase können sie dann eine erste Entscheidung treffen: Wollen sie alle weitere Änderungen am produktiven PLM-System von Ihrem Implementierungspartner durchführen lassen? Der Vorteil dieser Lösung liegt auf der Hand: Es ist die Fortführung von mittlerweile eingespielten Prozessen und Verantwortlichkeiten und sollte ein beherrschbares Risiko beinhalten.

Der Nachteil ist aber auch klar: Die schnelle Verfügbarkeit der Consultants ist nicht garantiert, sie machen sich ein Stück weit abhängig von ihm und die Kostenseite muss natürlich auch betrachtet werden. 

Alternativ können Sie auch darüber nachdenken, diese Aufgabe zumindest teilweise intern zu lösen. Die großen neuen Module vergeben sie weiterhin an Ihren Partner, aber die alltägliche Maintenance lösen sie mit internen Ressourcen. Oder sie befähigen ihr Team, zukünftig alle Anpassungen ihres PLM-Systems vorzunehmen.

PLM Team

Beides bedingt, dass sie bereits während der Implementierungsphase Gedanken über die Organisation, die Ressourcen und die Methoden und  Prozesse machen müssen. Es gibt natürlich auch Industriestandards wie ITIL, die sie dabei unterstützen können, gute Lösungen zu finden. 

Aber eigentlich reicht auch der gesunde Menschenverstand, um über die Frage nachzudenken, was nach der Produktivsetzung passieren muss. Prinzipiell müssen sie die Methoden, Prozesse und die Infrastruktur Ihres Implementierungspartners auf sich selbst adaptieren.

Zur Infrastruktur hatte ich mich bereits in einem anderen Blogartikel ausgelassen. Aber das ist nur eine Seite der Medaille, die andere betrifft ihre Mitarbeiter und Unternehmensorganisation. Ich möchte hier nur einige Aspekte ansprechen:

Support

Auch wenn ihre Anwender intensiv trainiert und geschult werden, trotzdem wird es im laufenden Betrieb Fragen geben. Wer übernimmt diesen first und second level Support bei Ihnen? Sollen das Ihre Key User aus dem Implementierungsprojekt sein oder richten sie eine dezidierte Supportmannschaft ein?

Instandhaltung

Wer kümmert sich um die Kommunikation von Issues, die an den Hersteller des PLM-Systems weitergeleitet werden müssen? Und wer verfolgt das weiter? Daraus ergeben sich auch Fragen, wie die Änderungen (Hotfixes, Patches) in ihr Produktivsystem gelangen sollen. Wer übernimmt Verantwortung für das Aufsetzen und die Wartung Ihrer Integrationsumgebung und ihres Testsystems.

Tests und Qualitätssicherung

Wer kümmert sich um die Organisation von Testaktivitäten, ohne die Änderungen an einem Produktivsystem auf keinen Fall vorgenommen werden dürfen? Wer übernimmt Verantwortung für die interne Freigabe von neuen Releases?

Anpassungen und tägliche Wartung

Und dann gibt es noch diese ganz normalen Anpassungen, die ständig anfallen werden. Wer übernimmt die notwendigen Pflegearbeiten am PLM-System? Das geht von der Anlage von Benutzeraccounts und der Vergabe von Berechtigungen über einfache Änderungen an den Businessobjekten (z.B. neue Klassifikationen ihrer Dokumente) bis hin zu komplexen Änderungen an den implementierten Geschäftslogiken. 

Diese Liste von Fragen und Aspekte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dafür ist dieses Thema auch zu individuell und zu unternehmensspezifisch.

Eine gute und bewährte Strategie, die richtigen Fragen zu stellen und auch passende Antworten darauf zu finden, ist es, die zukünftige Supportorganisation frühzeitig in das Implementierungsprojekt einzubinden. Denken sie daran, es ist IHR PLM-System und nicht das Ihres PLM Systemhauses. Lernen sie aus den Erfahrungen ihrer Implementierungsphase und profitieren sie vom Wissen, dass Ihr Partner mit Ihnen dabei teilt. Nicht jedes Rad muss neu erfunden werden.

Vor einigen Tagen hat mir Bernd Ebert, der hier auch schon auf der PLM Couch saß, einen weiteren vielversprechenden Ansatz zur Lösung dieses Problems vorgestellt.

Es geht dabei um DevOps, einen Prozessverbesserungsansatz aus dem Bereich Softwarentwicklung und Systemadministration. Das ist definitiv einen Blick wert – aber das soll in einem anderen Blogartikel passieren.

 

 

Der PLM-Talk: Heute mit Dr. Christian Klüber-Demir

Herzlich Willkommen auf meiner virtuellen Blogcouch, Herr Dr. Klüber-Demir. Machen Sie es sich bitte recht bequem. Ich freue mich sehr, einen ausgewiesenen Experten aus der Medizintechnik begrüßen zu dürfen – einer Branche, die seit Monaten im Fokus der Öffentlichkeit steht. Für Leser, die noch keine Berührungspunkte mit Ihnen hatten, können sie sich bitte kurz vorstellen?

Dr. Christian Klüber-Demir, experte für das Supply Chain Management in der MedizintechikDr. Christian Klüber-Demir:

Ja gerne, und erst mal besten Dank für die Einladung! Ich habe ursprünglich an der RWTH Aachen und der Universität Wien Werkstoffwissenschaften studiert und am Max-Planck-Institut Düsseldorf geforscht und promoviert, bevor ich zu einem traditionellen Hersteller von Stahlrohren gewechselt bin.
Dort habe meine ersten Erfahrungen im Qualitätsmanagement gesammelt, bevor ich dann erst in die Halbleiterindustrie und während der Finanzkrise weiter in die Medizintechnik gewechselt bin.
In den letzten 15 Jahren habe ich mich dabei meist mit dem Thema Lieferantenqualität beschäftigt, in der großen Spannweite von Halbzeug-und Standardteil-Zulieferern für die Eigenfertigung bis zu OEM- oder Handelswarenlieferanten von Medizinprodukten.

Die Prozess- und Systemintegration ist eine Kernaufgabe einer PLM-Strategie und gerade in Medizintechnikunternehmen kommt dabei dem Qualitätsmanagement in der Zuliefererkette eine besondere Bedeutung zu. Rückblickend auf ihre langjährige Berufserfahrung, was waren dort die größten Herausforderungen die es zu meistern galt.

Nach meiner Erfahrung gab zwei Herausforderungen, die uns besonders großes Kopfzerbrechen gemacht haben:
Zum einem fehlte es an eigenen ausgereiften Prozessen zur Qualifikation von Lieferanten und von zugelieferten Komponenten oder Produkten. Die Organisationen, in denen ich aktiv war, hatten immer eine starke Entwicklungsabteilung und Eigenfertigung. Und dort hat man sich in der Medizintechnik über die letzten Jahre viel u.a. von der Automobilindustrie abgeschaut, z. B. das Thema Prozessvalidierung.
Aber die Beschaffung von Komponenten für die Eigenfertigung oder auch von fertigen Medizinprodukten als Handelswaren wurde eher stiefmütterlich behandelt. Dazu waren die jeweiligen Einkaufsorganisationen auch gar nicht ausreichend auf die regulatorischen Anforderungen geschult und es gab keine guten Prozesse. Es hat viel Zeit gekostet, dafür zu werben, dass Zukaufteile dieselben Anforderungen erfüllen müssen wie die Eigenfertigung, zumal der Unterschied für den Kunden ja gar nicht sichtbar ist.
Und da spannt sich dann auch der Bogen zur zweiten großen Herausforderung auf:
Wir wussten anfangs viel zu wenig über unsere Lieferanten und wurden regelmäßig überrascht, wenn wir genauer hingeschaut haben! Obwohl ich mich im Halbleiterbereich ja schon mit dem Lieferantenqualitätsmanagement beschäftigt hatte, waren die Ergebnisse in der Medizintechnik zum Teil erschreckend! Dafür musste man nicht mal in irgendwelche Billiglohnländer schauen, die deutschen Medizintechnik-Zulieferer zeigten und zeigen ein riesiges Spektrum vom professionellen Hersteller, der deutlich reifere Prozesse hat als wir selber, bis zur Ein-Mann-Fertigung von Medizinprodukten auf der Drehbank im eigenen Wohnzimmer – ohne Prozesse, kalibrierte Messmittel, Prüfkonzept und ordentliche Dokumentation. Ich hätte damals gar nicht für möglich gehalten, dass es solche Firmen in Deutschland noch gibt.
Wir haben dabei vor allem gelernt, uns nicht mehr auf Zertifizierungen nach ISO 9001 zu verlassen, weil sie wenig über die Reife der Organisation aussagen. Stattdessen haben wir mehr Energie in die Auswahl und Qualifikation neuer sowie das regelmäßige Monitoring vorhandener Lieferanten gesetzt – beides recht erfolgreich durch ausführliche Audits vor Ort.

Wenn man auf diese Herausforderungen zurückblickt, waren da die Ursachen eher der Gestaltung der Wertschöpfungsprozesse geschuldet oder wurden diese Prozesse einfach schlecht unterstützt, zum Beispiel durch eine ungeeignete IT-Infrastruktur?

Das Problem waren oft weniger die Systeme als mehr die damit abgebildeten Prozesse, die sozusagen noch in Revision 1 feststeckten, sowie ein fehlendes Verständnis der Organisation für die Notwendigkeit solcher Prozesse, um die Produktqualität abzusichern und die ständig strenger werdenden regulatorischen Anforderungen überhaupt noch erfüllen zu können.

Häufig lag der Schwerpunkt – obwohl der Preisdruck in dieser Branche sicher nicht so extrem ist wie in anderen Industrien – mehr auf kaufmännischen Aspekten wie Preis und Lieferzeiten. Dabei ist der Entwicklung regulatorischen Anforderungen auch eine Möglichkeit, sich von Wettbewerbern abzusetzen, die nicht die Kompetenz oder auch die kritische Größe haben, ein dediziertes Lieferantenmanagement aufzubauen.
Der Einfluss der IT-Infrastruktur wird dabei meiner Meinung nach vom Management häufig überbewertet. Natürlich ist eine funktionierende IT-Infrastruktur heutzutage unerlässlich, aber was häufig übersehen wird: Sie ist nur ein Tool, um gute Prozesse umzusetzen oder um Arbeit in diesen Prozessen zu vereinfachen: Bei Kritik an der IT merkt man bei genauem Hinschauen oft, dass nicht die Software das Problem ist, sondern ein holpriger oder fehlender Prozess, den diese Software jetzt per Knopfdruck abbilden und vereinfachen soll. Das kann natürlich nicht funktionieren.

Was hätten Sie sich den konkret an Hilfe und Unterstützung gewünscht?

PLM problemlösungsketteVermutlich benötigt es viel mehr Beratung und Analyse der vorhandenen Prozesse und Strukturen, bevor man eine IT-Infrastruktur aufbaut und neue Software einführt – da wäre eine bessere Beratung und eine schonungslose Analyse durch den externen Anbieter hilfreich. Es benötigt, vor allem in größeren, schwerfälligeren Organisationen, einen Lernprozess:
Es ist der falsche Weg, kommerzielle Lösungen langwierig, teuer und fehleranfällig zu “customizen”, um sie an die vorhandenen aber veralteten Prozesse einer Organisation anzupassen. Stattdessen muss der Status Quo zunächst analysiert, Prozesse aktualisiert werden. Und manchmal muss man dann die Prozesse auch an die Softwarelösung anpassen, um das Optimum herauszuholen.

Die Digitalisierung schlägt auch in die Zulieferkette immer mehr durch und Prozessabläufe und der Datenaustausch werden  elektronisch gestaltet und automatisiert. Welche positiven Effekte sehen Sie denn aus der Sicht des Qualitätsmanagements bei dieser Entwicklung?

Tatsächlich durfte ich in der Halbleiterindustrie lernen, wie man die Digitalisierung wirklich nutzt, um Ressourcen im Bereich Einkauf und Qualität zu entlasten und für wichtigeres zu nutzen: Bestellprozesse, Lagerüberwachungen aber auch die digitale Übertragung von Produktspezifikationen, Mess- und Prüfergebnissen und Zeugnissen waren dort selbstverständlich und eine echte Arbeitserleichterung. Die gewonnene Zeit haben wir in echte Lieferantenüberwachung investiert, zum Beispiel in regelmäßige Review-Meetings.

Gibt es auch negative Effekte dabei?

Wie schon beschrieben löst die Digitalisierung nicht das Problem schlechter Prozesse. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die
Organisation sich auf Software verlässt und Fehler sogar später erkannt werden. Ein schönes Beispiel aus einem anderen Unternehmen war die Beschaffung von Komponenten für ein schon obsoletes Produkt:
Die Prozesse des PLM hatten versagt, so dass Komponenten weiter bestellt, nach Ablauf der Mindesthaltbarkeit (kostenpflichtig) entsorgt und auf Grund einer hinterlegten Mindestlagermenge dann wieder neu bestellt wurden – in Summe fünf mal in fünf Jahren, bis endlich auffiel, dass dem inzwischen sechsstelligen Einkaufsvolumen kein Umsatz gegenüberstand.

Sie sind ein wichtiger Stakeholder und Key-User des PLM-Systems. Was würden Sie sich denn von den Herstellern dieser Systeme wünschen, um ihre tägliche Arbeit zu erleichtern?

Ich würde mir heute wünschen, dass die Hersteller solcher Systeme im Vorfeld ausführlicher beraten und viel schonungsloser klarmachen, wo ihre Systeme auf Grund vorhandener Schwächen in der Organisation des Kunden an ihre Grenzen kommen.
Ich stelle mir vor, dass das viele Kunden zunächst gar nicht gerne hören wollen, aber für den langfristigen Erfolg und eine zufrieden stellende Zusammenarbeit ist es meines Erachtens unerlässlich.

Herzlichen Dank, Herr Dr. Klüber-Demir für dieses erkenntnisreiche Gespräch. Ich wünsche Ihnen für Ihre weiteren Projekte maximale Erfolge.

Das PLM-Leben ist nicht ohne Risiko

Wir alle absolvieren in diesen Zeiten eine medizinische Ausbildung. Vor ein paar Monaten wusste noch niemand, was ein Inzidenzwert ist. Heute kann den jeder im Kopf ausrechnen und den Verlauf über die letzten Woche grafisch darstellen.

Das unser Leben risikobehaftet ist, kann niemand abstreiten. In der Medizintechnik spielt dieses Risiko schon immer eine wichtige Rolle. Der Einsatz von Medizingeräten ist oft ein Abwägen des Nutzens gegen die damit einhergehende Gefahr eines Schadens.

Dazu ein anschauliches Beispiel: Mit einem Skalpell wird während einer Operation einem Patienten eine Wunde zugefügt. Ohne den medizinischen Kontext wäre das eine vorsätzliche Körperverletzung.  Aber ohne die Inkaufnahme dieser Verletzung kann man eben auch nicht das Krebsgeschwür entfernen, dass sich im Körper ausbreitet. Der Nutzen (Geschwür entfernen) überwiegt dem Schaden (Wunde). Dabei muss natürlich alles dafür getan werden, diese Verletzung möglichst gering zu halten und den daraus entstehenden Schaden zu begrenzen.

In der Entwicklung von Medizingeräten ist die Analyse und Bewertung von Risiken und den damit verbundenen Schäden ein essentieller Bestandteil des Produktentwicklungsprozesses. In diesem Prozess muss eine Risikoanalyse durchgeführt werden, um eine möglichst geringe Gefährdung von Patienten und des medizinischen Personals sicherzustellen.

Diese Forderung schlägtsich in den einschlägigen Normen und Standards wie der ISO 14971 nieder. Es wird die Durchführung und Dokumentation der Risikoanalyse, Risikobewertung, Risikokontrolle und Informationen aus der Produktion und der Produktion nachgelagerten Phasen verlangt.

In diesem Artikel möchte ich aber gar nicht diese Prozesse tiefer betrachten. Dafür gibt es Qualitätsmanagement-Experten, die sich richtig gut damit auskennen. Es geht mir eher um die Beantwortung der Frage, wie PLM das Risikomanagement unterstützen kann und man so zu einer höheren Effektivität  (die richtigen Dinge tun) und Effizienz (die Dinge richtig tun) gelangt. Aus meiner Erfahrung heraus konnte ich folgende Dinge identifizieren:

Integration des Risikomanagement in den digital Thread des Medizinproduktes

Das Risikomanagement als Teil des Produktentwicklungsprozesses benötigt als Eingangsgröße valide Produktdaten – schließlich müssen die Risiken des bestimmungsgemäße Gebrauch des Medizinp

roduktes analysiert und bewertet werden. Diese Produktdaten sind aber keineswegs statisch, sondern ändern sich. Das Speichern des Entwicklungstandes, zu dem eine Risikobewertung erstellt wurde, ist essentiell wichtig. Außerdem werden Dinge richtig getan, wenn der Risikoanalyst sich nicht seine Produktdaten aus verschiedenen Quellen zusammensuchen muss, sondern sich auf Gültigkeit und Datenqualität verlassen kann.

Aufbrechen der Risikobewertung innerhalb der Produktstrukturen und Stücklisten

Gerade Medizingeräte sind äußerst innovativ und beinhalten komplexe Strukturen – sei es aus tiefen Stücklisten aus z. B. der mechanischen Konstruktion oder, weitaus öfter, weil das Produkt aus mechanischen, elektrischen, elektronischen und Software-Komponenten besteht.  In neuerer Zeit kommen  auch immer mehr Services als integraler Produktbestandteil und somit eine weitere Komplexitätsebene dazu.

Das hat auch Auswirkungen auf die Risikobewertung. Die Risikoanalysten für die Software verlinken dann ihre Bewertungen mit dem Software-Baum der Produktstruktur. Der Lebenszyklus von Softwarekomponenten ist deutlich kürzer als der von mechanischen. Eine saubere Verlinkung der Risikobewertung in die jeweiligen Sub-Bäume hilft, beides  voneinander zu trennen und somit die unterschiedlichen Bedürfnisse der Softwerker und Mechaniker zu befriedigen. Eben die Dinge richtig zu tun.

Aufbrechen der Risikobewertung entlang des Produktlebenszyklus

Eine Produktentwicklung in der Medizintechnik startet mit der Definition des Design Inputs, also der Definition eines ersten “Intended Use” und der Aufnahme der Anforderungen an das Medizinprodukt. Aufgrund der bereits angesprochenen Produktkomplexität wird das zukünftige Medizinprodukt in funktionale, systemische oder logische Bestandteile strukturiert. Eine Preliminary Hazard Analysis (PHA) sorgt für erste Ergebnisse. Diese Methode konzentriert sich auf die Identifizierung von Schwachstellen in einem frühen Stadium der Lebensdauer eines Systems und spart so Zeit und Geld, die für ein größeres Redesign erforderlich wären, wenn die Gefahren zu einem späteren Zeitpunkt entdeckt würden. Daher haben PHAs einen Bezug zum Systemdesign und damit zur funktionalen und logischen Produktstruktur.

Ganzheitliches Änderungswesen

Das Aufbrechen der Risikoanalyse in sinnvolle Bestandteile und da damit einhergehende genau Verlinkung der Eingangs- und Ausgangsdaten in das Produktdatenmodell erlauben dann eine vollständige und schnelle Auswirkungsanalyse von Änderungen. Dann zahlen sich die bisher gelegten Grundlagen aus, in dem entlang des digital Threads nachvollzogen werden kann, welche Daten wie zusammenhängen und somit eine vollständige Analyse der betroffenen Produktdaten möglich ist. Das spart immens Zeit und erhöht die Qualität, gerade auch im Hinblick auf die Risikobewertungen. Wenn diese Bestandteil sauber in den digital Thread integriert sind, können notwendige Änderungen und Anpassungen auch getriggert und nachvollzogen werden.

Aber dieser signifikante Einspar- und Qualitätseffekt steht und fällt mit der Vollständigkeit aller Einzelfäden. Fehlen einige, enstehen Löcher im Datenmodell, die sehr aufwendig manuell geflickt werden müssen.

Aktivitätsnachverfolgung

PLM-Systeme bilden Wertschöpfungsprozesse ab und in diesen fallen Aktivitäten und Aufgaben an. Diese Aufgaben werden den jeweiligen Verantwortlichen zugestellt und deren Abarbeitung nachvollziehbar gespeichert. Reviews und Freigaben von Daten und Dokumenten werden im Audit Trail gespeichert.

Auch im Risikomanagementprozess fallen Aufgaben an und auch dort müssen Daten und Ergebnisse überprüft und freigegeben werden. Das betrifft insbesondere die Maßnahmen zur Mitigation von Risiken.

Die Funktionen des PLM-Systems sollten dafür genutzt werden. So kann allen Anwendern eine Single Source of Arbeitsvorrat zur Verfügung gestellt werden und deren Abarbeitung nachvollziehbar gespeichert werden.

Unterstützung des Reportings, Datenaufbereitung und -nachverfolgung

Am Ende müssen die einzelnen Fäden der Risikobewertung auch wieder zusammenlaufen. Auf der Ebene des Medizinproduktes ist eine komplette Sicht auf alle Bestandteile der Risikobewertung unabdingbar. Schließlich muss sichergestellt werden, dass alle Schritte des Risikomanagements durchlaufen wurden.  Zur Dokumentation wird oft ein Risk Management Report verwendet.

Wenn die Risk Management Reports nachvollziehbar mit den Revisionsständen der Produktdaten verknüpft sind,  hat das entscheidenden Einfluss auf die Effizienz und Effektivität:  Es wird die richtigen Dinge getan, da der Entwicklungsstand und Reifegrad des Medizinproduktes mit dem Stand der Risikobewertung fest verknüft ist.  Und es werden Dinge richtig getan, da an der Entwicklung des Medizinproduktes und an der damit verbundenen Risikobewertung sofort weiter gearbeitet werden kann und die historischen Relationen erhalten bleiben. Ähnliches gilt natürlich auch für die Bildung von Produktvarianten und Produktfamilien.

Unterstützung vom Wiederverwendung

Eine komplette Neuentwicklung eines Medizinproduktes erfolgt doch nur in seltenen Fällen. Der weitaus häufigere Anwendungsfall ist doch, dass ein vorhandenes Produkt angepasst wird. PLM-Systeme unterstützen vielfach diese Szenarien durch Funktionen im Produktenwicklungsmodul, z.B. durch die intelligente Kopieren und Anpassen von Stücklisten und Produktstrukturen. Wenn von dieser Intelligenz nicht nur Bauteile und Baugruppen erfasst werden, sondern auch die Daten der Risikoanalyse, dass werden wieder Dinge richtig getan. Wiederverwendnung spart auch hier Zeit und Aufwand.

Alle diese Aspekte führen zu einer oft diskutierten Abwägung der Ver- und Nachteile einer speziellen Risikomanagement-Software gegenüber der Nutzung von Funktionen im PLM-System. Das PLM System bildet das Rückgrat für alle Produktdaten und steuert die damit verbundenen Wertschöpfungsprozesse. Hier laufen die Fäden zusammen, die dann zu einem vollständigen Digital Thread des Medizinproduktes zusammengefügt werden.

Ob alle Einzelfäden auch im PLM-System erzeugt werden müssen oder manche auch von Spezialsystemen kreiert werden können, ist eine unternehmens- und anwendungsfallspezifische Abwägung. Entscheidend ist nur die Integration, das Risikomanagement darf nicht als Dateninsel isoliert existieren.

Dinge richtige tun und richtige Dinge tun, beides steht und fällt mit der Integration von Daten. Und das ist genau der Kern eines PLM, die Verbindung von Daten, Prozessen, Systemen und den Anwendern.

Systemvalidierung von PLM-Systemen in der Medizingeräteindustrie

Wir leben in turbulenten Zeiten. Ein Effekt der ganzen Corona- und Covid-19-Gemengelage ist ein neue Wahrnehmung der Leit-Industrie in Deutschland. Wenn man heute im Familien- und Bekanntenkreis sich zum Video-Call verabredet, spricht man nicht mehr über die Anschaffung des neuen Familienautos oder die Assistenzsysteme des neuen Dienstwagens. Eine neue Industrie, die bisher nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stand, rückt in die Mitte des Interesses: Die Hersteller von Medizintechnik und -geräten.
Laut der Angaben des statistischen Bundesamtes belief sich der Gesamtumsatz dieser Branche im Jahr 2018 auf ca. 30 Mrd. Euro. Man muss kein Hellseher sein, um den Unternehmen eine steigende Umsatzkurve zu prognostizieren.
In den letzten Jahren habe ich einige PLM-Implementierungsprojekte in dieser Branche begleiten und dabei auch die besonderen Herausforderungen kennen lernen dürfen. Und um eine besondere soll sich heute dieser Artikel drehen: Die Validierung des PLM Systems.
Bevor wir jedoch in die fachlichen Tiefen abtauchen, möchte ich aber noch einen Disclaimer einschieben: Dieser Artikel ist keine Rechtsberatung zum Bestehen von Audits der Aufsichtsbehörden. Er soll lediglich Anregungen und Hinweise zur Lösungsfindung geben, die auf meiner Projekterfahrung basieren.

Bild von <a href="https://pixabay.com/de/users/RobynsWorld-1577075/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=2610509">Robyn Wright</a> auf <a href="https://pixabay.com/de/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=2610509">Pixabay</a>

Doch fangen wir einmal am Anfang an und fragen uns, warum ein PLM-System nach Regeln der Medizintechnik validiert werden muss. Und wer bestimmt eigentlich die Regeln für diesen Vorgang?
Als eine wichtige Quelle sei die ISO13485:2016, Kapitel 4.1.6 genannt, in dem explizit gefordert wird, dass die Hersteller Verfahren zur Software-Validierung für Software festlegen müssen, die das Qualitätsmanagementsystem nutzt. Diese Validierung sei risikobasiert durchzuführen. Zur weiteren Recherche sei hier auf die exzellenten Webseiten des Johner-Instituts verweisen.

Taucht man etwas tiefer in diese Validierungsanforderungen ein, liegt der Verdacht nahe, das lediglich wasserfallbasierte Projektvorgehensmodelle diese erfüllen können und zu einer auditsicheren Systemvalidierung führen. Diese Vorgehensmodelle konnten aber nicht den Nachweis erbringen, zum Erfolg von PLM-Projekten beitragen zu können.
Agile und inkrementelle Vorgehensmodelle sind an deren Stelle getreten und seit Jahrzehnten Stand der Wissenschaft für die Einführung von PLM-Systemen. Schaut man sich aber diese Vorgehensmodell an, stehen diese teilweise im Widerspruch zu den Forderungen zur Systemvalidierung. Welche Methoden und Aktivitäten- in “agilisch“ Artefakte – können diesen gordischen Knoten zerschlagen? Dieser Blogeintrag liefert eine Antwort auf diese Frage.

Dokumentation von Anforderungen:

Auch bei agilen Projekten werden natürlich Anforderungen an das zukünftige PLM-System aufgenommen. Das fängt bei einer generellen Scope Definition an und wird dann immer weiter herunter gebrochen und weiter detailliert. Verfahren und Methoden zur Businessanalyse gibt es viele und ich möchte hier nicht weiter ins Detail gehen, um den Umfang des Artikels nicht zu sprengen.
Meine Erfahrung zeigt einen klare Tendenz zu “User Stories” als meistverwendete Methode zur Dokumentation von Anforderungen. Und genau diese Dokumentation wird auch für die Systemvalidierung verlangt. Somit ist das gar kein Mehraufwand außer dem, die User Stories ordentlich zu dokumentieren. Und das macht man auch im agilen Kontext im Product Backlog und später dann im Sprint Backlog.

Der Teufel steckt hierbei eher im Detail der Dokumentation. User Story ist nicht gleich User Story und die beiden folgenden Beispiele illustrieren das:

  • Als Anwender möchte ich meine Design Control Aktivitäten und Prozesse im PLM-System abbilden, um während eines FDA-Audits die geforderte Nachverfolgbarkeit nachweisen zu können
  • Als Testingenieur möchte ich die genauen Parameter für das Maximalgewicht meines Testproduktes angezeigt bekommen, um diese mit der Anzeige der Laborwaage vergleichen zu können.

Beides sind formal korrekt dokumentierte User Stories, aber es ist deutlich der unterschiedliche Detaillierungsgrad zu erkennen. Die erste User Story ist eher so etwas wie der Intended Use des PLM-Systems und beschreibt eine Hauptanforderung, warum ein Medizintechnikunternehmen überhaupt ein PLM-System einführt. Der Aufwand für die Implementierung liegt hier eher bei Monaten oder sogar Jahren und viele Details sind noch vollkommen unklar und müssen entwickelt werden. Die zweite User Story ist da deutlich kleiner und genauer. Es liegt in der Natur der Sache, dass in einem PLM-Projekt User Stories dynamischen Änderungen unterliegen und somit unterschiedliche Reifegrade haben.

Die Anforderungen müssen reifen

Am Anfang stand das Wort des zukünftigen Nutzers eines PLM-Systems – in Form von Prozess-Schaubildern, Funktionsbeschreibungen, Definition von gewünschten Features und Schnittstellen und noch vielem mehr. Im Branchenjargon entspricht das dem Intended Use und den User Requirements des PLM-Systems. Der Reifegrad dieser Anforderungen ist aber noch weit davon entfernt, die notwendigen Details für eine Implementierung zu liefern. Es fehlen die Beschreibung von Systemumgebungen, Eingangsgrößen und Vorbedingungen, Akteuren und Berechtigungen und noch vieles mehr.
Des Weiteren bringt ein erfahrener Implementierungspartner seine Expertise ein, wie bestimmte Herausforderungen gut gelöst werden können. Oft können hier erhebliche Einsparpotentiale gehoben werden, wenn auf vorkonfigurierte oder bewährte Lösungen zurückgegriffen und nicht das Rad neu erfunden wird.
Und zu guter Letzt fehlen auch noch eine Reihe von Informationen, die für die Systemvalidierung benötigt wird. Das sind in erster Linie die Akzeptanzkriterien, deren klare Definition unabhängig von einer Validierung in jedem PLM-Projekt eine super Idee ist. Aber auch über mögliche Testszenarien, wie diese Akzeptanzkriterien geprüft werden sollen, müssen hier besprochen und dokumentiert sein.
Gerade bei stark integrativen PLM-Projekten ist die kontinuierliche Pflege der IT-Landkarte angebracht. Je nach Technologie und Architektur des gewählten PLM-Anbieters und der Komplexität der Anforderungen kann die Checkliste noch deutlich mehr Kriterien enthalten, bevor eine Anforderung “implementierungsreif” genannt werden darf. In der Sprache der Agilität wird das die “Definition of Ready DoR” genannt.
Die Erfahrung zeigt, dass der Aufwand des Reifens einer Kundenanforderung bis zum Erreichen der DoR von Anwenderseite fast immer unterschätzt, manchmal sogar in den Budgetplanungen gar nicht berücksichtigt wird.
Aus Validierungssicht ist die DoR aber ein großartiges Quality-Gate, das bei sinnvoller Kriterienliste nebenher den ersten Schritt der Systemvaliderung erledigt. Die Anforderungen sind klar dokumentiert, Akzeptanzkriterien definiert und Testszenarien und -fälle spezifiziert. Es kann mit der Umsetzung und Implementierung begonnen werden

Anforderungen werden zum Funktionen und Features

Das Implementierungsteam nimmt die DoR-reifen User Stories und Anforderungen auf und setzt diese um. Analog zur DoR gibt es auch eine Checkliste, deren Kriterien zur erfolgreichen Umsetzung der Anforderung erreicht werden muss: Die “Definition of Done DoD“.
Bild von <a href="https://pixabay.com/de/users/geralt-9301/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=3382521">Gerd Altmann</a> auf <a href="https://pixabay.com/de/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=3382521">Pixabay</a>Ein offensichtliches Kriterium ist das erfolgreiche Passieren der Testszenarien und Erreichen der Akzeptanzkriterien aus der DoR. Bei der Spezifikation der Testdaten sollten Sie nicht nur vom besten Fall ausgehen, auch falsche Eingaben ausprobieren. Des Weiteren ist das Beschreiten von alternativen Prozesspfaden eine gute Idee. Auch Code-Reviews oder die Prüfung auf Coding-Rules sind Mittel zu Steigerung der Softwarequalität. Die Dokumentation der Testergebnisse und dem Erreichen aller Kriterien der DoD genügt dann in der Regel als Nachweis für die Softwarevalidierung.
Hinweise und Empfehlungen zur richtigen Organisation und Toolunterstützung des Testens füllen Fachartikel und -Bücher. Als wichtige Erfahrungswerte sollte auf den Umstand hingewiesen werden, dass diese Tests keine einmalige Sache sind, sondern dass diese regressiv bei erneuten Änderungen am PLM-System erneut durchgeführt werden müssen. In der Praxis haben sich folgende Maßnahmen zur Reduzierung des wiederkehrenden Testaufwandes bewährt:

Risikobewertung

Die Risikobewertung hinsichtlich der Patientengefährdung ist ein Standardverfahren der Medizingeräteentwicklung und das gilt auch für die Validierung an das PLM-System. In den Projekten wird immer wieder intensiv über die reale Patientengefährdung bei einer Fehlfunktion des PLM-Systems diskutiert. Sicher kann man Szenarien herleiten, aber in diesen sind es immer einige Schritte vom der Benutzung des PLM-Systems hin zur Benutzung des Medizingeräts. Man sollte hier den gesunden Menschenverstand nicht außer Acht lassen und mit Augenmaß dieses Risiko bewerten. In einem vergangenen Projekt stellte dazu ein QM-Verantwortlicher mal fest, dass das Risiko aufgrund einer Fehlfunktion im PLM-System ernsthafte Probleme im Audit zu bekommen um Zehnerpotenzen höher ist als das einer Patientengefährdung.
Die Risikobewertung ist aber nicht nur ein erhöhter Aufwand ohne wirklichen Nutzen. Man kann dieses Werkzeug gut einsetzen, um kritischen Anwendungsfälle und Funktionen zu identifizieren und somit den Testaufwand zu skalieren. Und das Testen ist auch nicht die einzige risikominimierende Maßnahme. Schulungen und Awareness-Sessions oder zusätzliche Prüfschritte in den jeweiligen Prozessen können unter bestimmten Voraussetzungen deutlich günstiger als ein Softwaretest sein.

Das richtige Level finden

Wie vorhin an den beiden User Stories gezeigt, können Anforderungen unterschiedlich umfangreich und komplex sein. Eine Umsetzung in einem Sprint ist nicht möglich. Es ist somit notwendig, diese Anforderungen in kleinere Stücke zu schneiden und aufzuteilen. Die Risikobewertung wird dann für alle diese Anforderungs-Stücke vorgenommen, was zu einem doch recht erheblichen Aufwand führen kann.
Es kann daher sinnvoll sein, über das richtige Level nachzudenken, auf dem die Risikobewertung durchgeführt wird. Es erscheint wenig zielführend, auf granularem Detaillevel der Anforderungen eine Evaluierung durchzuführen. Ein Erkenntnisgewinn ist nicht gegeben und lediglich der Aufwand für die Erstellung und Pflege steigt.

Testautomatisierung

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Wie schon oben erwähnt, ist die Systemvalidierung bei jeder Systemänderung erneut vorzunehmen. Ein bewährtes Mittel zur Reduzierung des Aufwandes für wiederkehrende Testfälle ist die Testautomatisierung, die mit Augenmaß eingesetzt werden kann. Es ist abzuwägen, bei welchen Testfällen sich der Aufwand zur Erstellung und Pflege der Automatismen gegen die Ersparnis der manuellen Testausführung lohnt. In diese Rechnung müssen auch die Anschaffungs- und Pflegekosten der Testwerkzeuge berücksichtigt werden.

Testreport der PLM-Systemhersteller

Einige PLM-Systemhersteller bieten sogenannte Validierungspakete an. Diese Dokumente erbringen den Nachweis der Systemvalierung für die Standardfunktionen des Systems. Diese Aussagen können natürlich herangezogen werden und sorgen somit für eine Verringerung des Validierungsaufwandes beim Medizingerätehersteller.
Das gilt aber nur, solange diese Standardfunktionen nicht angepasst, konfiguriert, ergänzt oder erweitert wurden. Auch Seiteneffekte sind dabei zu beachten und daher sind die Einspareffekte meist geringer als man sich das auf den ersten Blick erhofft hatte.

Was es noch zu beachten gilt

PLM-Systemhersteller und -Implementierungspartner bringen meist Wissen und Erfahrung zur Systemvalierung mit, aber verantwortlich ist das Medizingeräteunternehmen dafür. Somit ist es dafür zuständig, die Anforderungen an sein PLM-System zu dokumentieren und die Prozesse, die zu deren Reifung und Umsetzung führen. Ebenso sind es auch seine  DoR- und DoD Kriterien. Eine Herausforderung ist dabei mit Sicherheit die Dynamik, die eine PLM-Systemeinführung nunmal mit sich bringt. Neben der Hilfe und Unterstützung des Implementierungspartners gibt es auch sehr gute Softwarewerkzeuge, die dabei helfen und unterstützen können.